Vortrag vom 12. November 2016 – zum Herunterladen hier klicken
Das alte Reich
Ich möchte Sie entführen in die Berichterstattung aus dem Zentrum des Sacrum Imperium des Heiligen Römischen Reichs mitten drin zwischen Sizilien und den Stränden der Nord- und Ostsee.
Wir stehen am Beginn der zweiten Dekade des 13. Jahrhunderts.
Friedrich II. (geb. 26.12.1194), der große Staufer – stupor mundi -, war seit 1212 Deutscher König, ab 1220 auch Römischer Kaiser.
Innozenz III. (Lothar Graf von Segni) war seit 1198 Papst. Als er knapp 40-jährig gewählt wurde, rief Walther von der Vogelweide in seinen Reichstonsprüchen entrüstet aus: „Ohweh, der Babes ist ze jung, hilf Herre deiner Christenheit!“
Wir tauchen ein in eine Welt, die sich unter dem modernen, uns vertrauten Begriff „Staat“ oder gar „Nationalstaat“ nichts vorstellen konnte.
Das alte Reich, wesentlich von den Deutschen geprägt, war Erbe des westlichen Imperium Romanum.
In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts sollte der korsische Usurpator dem Reich im Namen der „Grande Nation“ den Todesstoß versetzen.
Dieses Reich war kein Staat, demnach auch kein Vorläufer eines staatlich verordneten zweiten oder gar dritten Reichs.
Das Sacrum Imperium war eine Rechtsordnung mit geistlicher und weltlicher Dimension, verkörpert durch Papst und Kaiser, die den Menschen aller Stände, verbunden in der Christianitas, als gottgegebener Rahmen ihre irdischen Existenzen galt.
Die Salzburger Kirche
Als im Jahre 1869 der Salzburger Erzbischof Maximilian von Tarnoczy auf dem ersten vatikanischen Konzil erschien, begrüßte ihn Papst Pius IX. aufsehenerregend mit den Worten: „Ecco il mezzo papa que può far dei vescovi – Schaut her, da kommt der halbe Papst, der selber Bischöfe machen kann“!
Die Fähigkeit „selber Bischöfe zu machen“ war gewiss das eigenwilligste Privileg des Salzburger Erzbischofs.
Um diese in kirchlichem wie weltlichem Recht einzigartige Besonderheit zu verstehen, müssen wir zurückgehen bis zur Bajuwarenmission des Franken Rupert, der sich 696 in Juvavum, heute Salzburg, niederlässt.
Bajuwaren, ein Volk, das im Wesentlichen die Gebiete des heutigen Österreich und Altbayerns besiedelte.
Bereits um 700 wurde eine Kirche zu Ehren des heiligen Petrus errichtet, das heutige Erzstift St. Peter. Im Zuge der durch Bonifatius betriebenen Kirchenorganisation erfolgte 739 die Bistumsgründung.
Am 20. April 798 wurde auf Bitten des Frankenkönigs Karl des Großen das Bistum durch Papst Leo III. zum Erzbistum erhoben.
Mit dieser Maßnahme wurde eine Kirchenprovinz geschaffen, die das gesamte Bajuwarische Stammesherzogtum umfasste: Also das heutige Österreich mit Südtirol und Teilen Sloweniens, Tschechiens, Ungarns und der Slowakei sowie die altbairischen Gebiete im heutigen Bayern.
Der Metropole Salzburg wurden die bairischen Suffraganbistümer Freising, Neuburg, Passau, Regensburg und Säben zugeordnet.
Diese bairische Kirchenprovinz hatte grundsätzlich Bestand bis zur Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1814/1815.
Seit ihrer Frühzeit hatte die Salzburger Kirche eine wesentliche Aufgabe: die Missionierung Karantaniens, das sich im wesentlichen über die heutigen österreichischen Länder Kärnten und Steiermark sowie Slowenien erstreckte.
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, entsandte die Salzburger Kirche in ihre entlegenen Gebiete jenseits des Gebirges mit kaiserlicher Erlaubnis Missionsbischöfe:
„Mit der Bestimmung, in Karantanien und dem Gebiet westlich der Drau nach Kräften das Volk durch … Predigt zu leiten und bischöfliche Handlungen vorzunehmen, z.B. Kirchen zu weihen und Priester zu ordinieren.“ (Seidenschnur, Seite 178).
Im Laufe der Zeit waren Tendenzen der Verselbständigung der in Karantanien wirkenden Bischöfe erkennbar, sodass ab Mitte des 10. Jahrhunderts keine Bischofsentsendungen mehr erfolgten.
Erst Erzbischof Gebhard (1060 – 1088), „unermüdlicher Kämpfer für Christi und der Kirche Sache“ (Seidenschnur, Seite 179), nimmt den Gedanken bischöflicher Präsenz jenseits des Gebirges wieder auf. Die Vorlage hierzu lieferte ihm die von Gräfin Hemma von Gurk 1043 gegründete Eigenkirche mit ihrem reichen Besitz.
Die Eigenkirche, die sich im privatrechtlichen Eigentum ihrer Stifterin befand, war einem Nonnenkloster zugeordnet und hing von dessen Bestand ab.
Die fromme Gräfin hatte ihre Kirche unter den Schutz der Salzburger Kirche gestellt mit der Maßgabe, dass, falls die Klosterkirche nicht mehr für den Gottesdienst genutzt würde, der Salzburger Erzbischof berechtigt wäre, die Güter der Kirchenstiftung „seinen Dienstmannen zu Lehen zu geben“ (Seidenschnur, Seite 181).
Anfang des Jahres 1072 bestand das Kloster nicht mehr, warum wissen wir nicht. Die Stiftung Hemmas fiel also dem Erzbischof zu.
Der Erzbischof wurde damit gem. Reichsrecht Eigenkirchenherr, der die volle privatrechtliche Herrschaft über Hemmas Kirche und ihr Vermögen ausübte.
Gemäß Auflage aus der Stiftung Hemmas war Erzbischof Gebhard zwar verpflichtet, die Kirche mit zugehörigem Besitz in ihrer geistlichen Bestimmung zu erhalten, doch bedeutete dies nicht die Wiederherstellung des Nonnenklosters.
Gebhard nutzte diese glückliche Fügung zur Gründung eines Bistums in Gurk und stattete dieses Bistum mit den Besitzungen des früheren Nonnenklosters aus.
Gebhards Vorgehen war erfolgreich. Er wandte sich an Papst und Kaiser, mit der Bitte, ein eigenes Bistum errichten zu dürfen.
Als Begründung führte er die weite Ausdehnung der Salzburger Diözese an, die ihm die alleinige Leitung unmöglich mache, „sodass er für das Heil der ihm anvertrauten Seelen fürchten müsse“ (Seidenschnur, Seite 182).
Papst Alexander II. erteilt dem Erzbischof daraufhin die grundsätzliche Erlaubnis, „an einem beliebigen Ort seiner Diözese ein Bistum zu errichten und dort einen Helfer für die Seelsorge nach eigenem Ermessen einzusetzen“.
Das Bistum aber darf der Salzburger Kirche, dem Erzbischof und seinen Nachfolgern nie entzogen werden und kein Bischof dort – sei es durch Investitur oder auf andere Weise – eingesetzt werden, den nicht Gebhard oder seine Nachfolger nach eigenem Gutdünken gewählt, ordiniert und geweiht haben.“ (Seidenschnur, Seite 183).
Der Papst hatte dem Salzburger Erzbischof die Vollmacht erteilt, „selber Bischöfe zu machen“.
Erst mit dem Österreichischen Konkordat von 1934 erledigte sich dieses einmalige Privileg.
Der Kaiser folgte den Bestimmungen des Papstes, gewährte die Umsetzung aber ausschließlich für die erzbischöfliche Eigenkirche von Gurk.
Deren Besitz war durch die Eingliederung in den Salzburger Besitz zum Reichskirchengut geworden, bezüglich dessen Verwendung der Kaiser die Erlaubnis erteilen musste.
Durch diesen Vorstoß Gebhards bei Papst und Kaiser war es zu einem einzigartigen Konstrukt gekommen:
Während ansonsten die Bischöfe der Reichskirche unmittelbar Papst und Kaiser unterstanden, hatte der Salzburger Erzbischof in seinem Sprengel durch die Schaffung des Eigenbistums einen sowohl geistlichen wie auch weltlichen Lehensträger.
Damit konnte der Erzbischof in seiner Diözese agieren, gleichsam als kleiner Papst und kleiner Kaiser, aber eben auf der zweiten Ebene des Reichs.
Erzbischof Eberhard II.
Fast 150 Jahre später sollte Erzbischof Eberhard II. dem Exempel seines Vorgängers Gebhard folgen.
Zunächst betrieb Eberhard die Errichtung einer eigenen Chiemseekirche, die durch die Bulle Papst Innozenz III. vom 28. Januar 1216 ihre Bestätigung fand.
1218 folgten Seckau und 1225 Lavant.
Die Pläne zur Errichtung des Chiemsee-Bistums gehen auf das Jahr 1213 zurück.
Erzbischof Eberhard wandte sich zunächst an den König und bat Friedrich II., dessen treuer Gefolgsmann und Vasall er war, um die Erlaubnis zur Bistumsgründung.
Das Bistum brauchte selbstverständlich eine wirtschaftliche Grundlage und so zielte der Plan des Erzbischofs in Erinnerung an die Vorgänge in Gurk auf die Nutzung des Besitzes der Abtei Frauenchiemsee. Der Besitz sollte zur Ausstattung des neuen Bistums herangezogen werden.
Der Staufer gibt dem Ersuchen des Erzbischofs unter Verweis auf die Verdienste, die sich Eberhard um das Reich und um seinen Herrscher erworben hat, bereitwillig statt:
Friedrich II. bestätigt der Salzburger Kirche das Kloster Frauenchiemsee mit Zubehör und allem Besitz.
Mit Königsurkunde vom 27. März 1213 verfügt er, dass der Bischof des neu zu errichtenden Bistums Chiemsee die Regalien und die Investitur nicht vom Reich, sondern vom Salzburger Erzbischof empfangen soll.
Aber es galt, noch eine zweite, erheblich höhere Hürde bei der Bistumsgründung zu nehmen: Nämlich die Zustimmung des regierenden Papstes Innozenz III. einzuholen.
Um sein Vorhaben begründen zu können, war Eberhard absolut nicht zimperlich im Umgang mit der Wahrheit. Um sich des Klosterbesitzes von Frauenchiemsee zu bemächtigen, verwies der Erzbischof drastisch auf den Verfall der Klosterzucht.
Er schlug daher dem Papst vor, das Kloster aufzulösen und die Klosterfrauen auf andere „anständige“ Klöster zu verteilen. Der Klosterbesitz wäre zur wirtschaftlichen Grundlage des neuen Bistums geworden.
Aber Innozenz III. lässt den nicht ganz lupenreinen Plan des Erzbischofs nicht aufgehen. Er setzt zwei päpstliche Kommissare ein, die den Zustand der Abtei Frauenwörth überprüfen sollen.
Das Untersuchungsergebnis ist eindeutig: die massiven Anschuldigen Eberhards gegen das Kloster sind nicht haltbar – „Schande über den, der Übles dabei denkt“.
Die Bistumsgründung auf Kosten von Frauenchiemsee war gescheitert.
Der streitbare Erzbischof Eberhard gibt nicht auf. Wenn es mit den Klosterfrauen nicht funktioniert hat, dann versucht er es mit den Herren Stiftskanonikern auf Herrenchiemsee.
Die Vorgehensweise der Bistumsgründung ist wieder die gleiche:
Im ersten Schritt wird die königliche Erlaubnis eingeholt.
Mit königlichem Schreiben vom 5. April 1215, gegeben zu Augsburg, bestätigt Friedrich II. dem Erzbischof und der Salzburger Kirche das Chorherrenstift auf Herrenchiemsee.
Gleichzeitig wird dem Salzburger Erzbischof die Erlaubnis erteilt, auf Herrenchiemsee ein Bistum zu errichten, dessen Bischof von ihm, dem Erzbischof und nicht vom Reich die Investitur erhalten soll.
Schritt 1 war wie gewohnt erfolgreich abgeschlossen: Friedrich II. erfüllte gern das Begehr seines getreuen Vasallen.
Ordnungsgemäß wandte sich Eberhard jetzt an den Papst und bat um die Erlaubnis zur kanonischen Errichtung des Bistums Chiemsee.
Ende des Jahres 1215 traf der Erzbischof mit Innozenz III. auf dem 4. Laterankonzil zusammen und legte ihm den modifizierten Plan vor.
Der Papst stimmte diesmal zu, wohl insbesondere auch, weil das neue Bistum vom Salzburger Domstift seine Dotation, seine finanzielle Ausstattung erhalten sollte.
Die päpstliche Bulle mit der Erlaubnis zur Errichtung des Bistums Chiemsee vom 28. Januar 1216 trägt den besonderen Umständen der Bistumsgründung detailliert Rechnung:
Sie enthält eine genaue Umschreibung des Bistums von Eggstätt im Norden über das Achen- und das Priental bis ins heute Tiroler Brixental im Süden. An keinem Punkt sollte die Eigenkirche der Salzburger Kirche an ein Bistum der Reichskirche wie Freising oder Brixen angrenzen.
Da das neue Bistum ausschließlich aus dem Erzstift seine Dotation erhielt, wurde Eberhard II. und seinen Nachfolgern das Recht auf die Wahl und die Investitur des jeweiligen Bischofs von Chiemsee zugestanden.
Sicherheitshalber hielt die Päpstliche Bulle aber auch fest, dass durch die Errichtung des Chiemsee-Bistums die Rechte und Besitzungen der Augustiner Chorherren auf Herrenchiemsee nicht angetastet werden durften.
In der Rechtsordnung des alten Reiches war der Chiemsee-Bischof also wiederum geistlicher und weltlicher Lehensträger seines Lehensherrn, des Erzbischofs von Salzburg.
Was für den Erzbischof von Salzburg selbst Papst und Kaiser waren, war für den Chiemsee-Bischof der Erzbischof von Salzburg.
Der Bischof von Chiemsee war „Hintersasse“ des Erzbischofs in geistlicher und weltlicher Sicht. Geistliche Vollmachten waren vom Erzbischof, weltliche vom Reichsfürsten geliehen.
Gleiches Muster fand für Seckau und Lavant Anwendung.
Mit Urkunde vom 30. Dezember 1217 vollzieht Erzbischof Eberhard die Errichtung des Chiemsee-Bistums und bestimmt den Probst von Zell am See, Rüdiger zum ersten Bischof.
Die päpstliche Bulle mit der Erlaubnis zur Bistumsgründung bildet auch die Grundlage der erzbischöflichen Urkunde.
Die Verfügung des Erzbischofs wird aber wesentlich expliziter, was die Pflichten des Chiemsee-Bischofs als Lehensträger der Kirche von Salzburg angeht.
De facto setzt er seinen Chiemsee-Bischof als Salzburger Hilfsbischof ein, der sich in die strenge Hierarchie der Salzburger Landeskirche einzuordnen hatte, was den Chiemsee-Bischöfen bis zum Schluss hervorragend gelang.
Der letzte, Siegmund Christoph von Waldburg zu Zeil und Trauchburg rettete schließlich die Salzburger Erzdiözese über die Wirren von Säkularisation und Zusammenbruch des alten Reiches als Statthalter des letzten Fürst-Erzbischofs Hieronymus Graf Colloredo.
Interpretation der Vorgänge
Mit der Absetzung des Welfen Heinrich des Löwen im Jahre 1180 ist die Geschichte des „Großen Baiern“, des Stammes-herzogtums endgültig beendet.
Im Osten und Süden des Herzogtums, in der Grenzmark zu den slawischen Stämmen pflanzen die Babenberger den rot-weiß-roten Bindenschild auf. Im Westen treten die Wittelsbacher auf den Plan. Mittendrin sitzt unser Erzbischof Eberhard II. von Salzburg.
Friedrich II., der Staufer, das Kind Apuliens, Errichter von Castel del Monte, Förderer der Wissenschaft, fühlte sich unter der süditalienischen Sonne nachvollziehbar am wohlsten. Konsequent suchte er in den nördlicheren Teilen des Reiches treue Gefolgsleute, die ihm die Ordnung dort erhalten sollten. Er fand sie z.B. in den Babenbergern, den Wittelsbachern und dem Salzburger Erzbischof.
Die treuen Gefolgsleute nutzten ihrerseits die Gunst der Stunde und des Königs. Sie schmiedeten ihre verschiedenen Besitzungen zu möglichst geschlossenen Territorien zusammen.
Und so bildeten sich auf dem Gebiet des großen Stammes-herzogtums der Bajuwaren drei Landesfürstentümer heraus:
Österreich, Baiern und Salzburg.
Salzburg hatte die Besonderheit, dass der landesfürstliches Territorium bildende Treiber als Reichsbischof sowohl über geistliche wie weltliche Vollmachten verfügte und damit in beiden Dimensionen der Ordnung des alten Reiches tätig werden konnte, der geistlichen wie der weltlichen.
Während bei Gebhard bei der Gründung des Gurker Eigenbistums noch seelsorgliche Belange im Vordergrund standen, überwogen bei Eberhard II., der zwischen Babenberg und Wittelsbach zum Territorialpolitiker werden musste, Handlungsmotive, die in seiner Pflicht zur Wahrung des ihm anvertrauten Reichskirchenguts wurzelten. Ein gesunder Machtinstinkt war selbstredend auch dabei.
Die Art und Weise der Stiftung der Eigenbistümer mit ihrer einzigartigen Stellung in der Rechtsordnung des Reiches fußte auf dem in die Karolingerzeit zurückgehenden Eigenkirchen-system, in welchem der Grundherr weitgehende Herrschaft mit privatrechtlichem Charakter über seine Kirchenstiftungen ausübte.
Der Salzburger Erzbischof übte diese Herrschaft in doppelter Weise als Grundherr mit weltlicher und als Bischof mit geistlicher Oberhoheit aus.
Wenn im Januar 2009 das untergegangene Chiemsee-Bistum durch Papst Benedikt XVI. in die Liste der Titularbistümer übernommen wurde – wofür es übrigens keinerlei Errichtungs-urkunde bedarf -, werte ich dies auch als kleinen Wink des Papstes, sich der besonderen geistlichen und weltlichen Historie unserer Heimat zu erinnern, dem Land zwischen Bayern und Österreich.
Die anderen drei Eigenbistümer der Salzburger Kirche haben sich im Rahmen der Kirchenreform Kaiser Josefs II. verselbständigt.
Gurk ging in der Kärntner Diözese Gurk-Klagenfurt auf, gehört bis heute der Salzburger Kirchenprovinz an.
Seckau ging in der steirischen Diözese Graz-Seckau auf, ebenfalls dem Salzburger Metropolitanverband zugehörig.
Aus Lavant entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte die heutige Erzdiözese Maribor in Slowenien, Marburg an der Drau in der früheren Untersteiermark.
Die Eigenbistümer im Süden und das Chiemsee-Bistum im Westen nahmen also unterschiedliche Entwicklungen.
In den südlichen Teilen der Salzburger Erzdiözese, in Kärnten und der Steiermark – genannt Innerösterreich – versuchten die Landesfürsten (zunächst Babenberger, dann vor allem Habsburger), die Salzburger Eigenbischöfe in ihre Gefolgschaft zu ziehen und mit ihnen eine eigene Landeskirche aufzubauen.
Auf der bairischen Seite hingegen ignorierte der Landesherr den Chiemsee-Bischof und versuchte, ihn mittels seines Gewährsmanns, des den bairischen Landständen angehörenden Probstes und Archidiakons von Herrenchiemsee in Schach zu halten.
Der Chiemsee-Bischof stand dem reichsfürstlichen Nachbarn in Salzburg einfach zu nahe, gehörte seinerseits den dortigen Landständen an.
Erst in der Folge des Konzils von Trient, das in der katholischen Kirche den Vorrang der Weihevollmachten (potestas ordinis) vor den Verwaltungsvollmachten (potestas iurisdictionis) betonte, konnte sich der Chiemsee-Bischof gegenüber dem Stiftsprobst und Archidiakon in seiner bischöflichen Aufgabe in seinem Sprengel stabilisieren.
Bischof Ernfried von Kuenburg schließlich schloss mit Erzbischof Markus Sittikus am 23. Juli 1613 einen sogenannten Rezess. Damit gestand der Erzbischof seinem Eigenbischof das volle Recht eines Ordinarius mit eigenem Ordinariat und Generalvikar zu.
Somit war der Archidiakon von Chiemsee für den chiemseeischen Teil seines Archidiakonats auch dem Bischof von Chiemsee, als seinem Ordinarius, unterstellt.
Er handelte für den Bischof von Chiemsee, seinem Ordinarius mit „potestas vicaria“.
Der Archidiakonat war damit in einen erzbischöflich-salzburgischen und einen bischöflich-chiemseeischen Teil gespalten.
Die Auseinandersetzungen mit dem Archidiakon, der sich immer wieder auf alte Rechte berief, sollten sich noch bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts hinziehen.
Erst ein Vergleich zwischen Bischof Sigmund Carl von Castel-Barco (1697 – 1708) und Archidiakon Probst Jakob Mayr (1691 – 1717) beendete die rechtlichen Auseinander-setzungen. So sollte es bleiben bis zum Schluss.
Der Chiemsee-Bischof hatte zwar seinen bischöflichen Stuhl nebenan im Inseldom stehen, wirkte aber als Hirte seiner Kirche und Ordinarius im Wesentlichen von Bischofshofen im Brixental aus.
Der Pfarrhof dort ist noch immer als der seelsorgliche Mittelpunkt des Chiemsee-Bistums erkennbar.
Ansonsten amtete der Chiemsee-Bischof als Weihbischof und engster Mitarbeiter des Salzburger Erzbischofs.
Der Archidiakon und Stiftsprobst von Herrenchiemsee hatte sich mit dem Bischof arrangiert und duldete ihn in seinem Dom.
Mit Ende des Reichs ging dieses Konstrukt, gingen Chorherrenstift, Archidiakonat und Chiemsee-Bistum unter.
Dass die Kathedrale des Chiemsee-Bistums im Gegensatz zu den anderen Bischofskirchen in Bayern der Zerstörung anheimfiel, findet seine Erklärung sicher auch in dem Umstand, dass der bischöfliche Stuhl von Chiemsee keine reichsunmittelbare Vergangenheit hatte.
Für die aufgeklärten neuen bayerischen Herrn war der Inseldom Eigentum des landständischen Chorherrenstifts und höchstens geduldeter Stellplatz für den Sessel des Chiemsee-Bischofs.
Zum Schluss sei hier noch eine kleine Bemerkung erlaubt:
Wir haben uns mit einem sicherlich kuriosen Vorgang innerhalb der Rechtsordnung des Heiligen Römischen Reichs befasst.
Unser neues Europa sucht verzweifelt nach einer inneren Ordnung. Das alte Reich als Gemeinwesen verschiedener territorial – nicht national! – umschriebener Gesellschaften verfügte mit seiner Rechtsordnung über einen stabilen Handlungsrahmen für Entwicklungen.
Ob in unseren Tagen der Nationalstaat der richtige Treiber für eine innere Ordnung des neuen Europa sein kann, möchte ich bezweifeln.
Dr. Wolfgang Berka
Wesentliche Literatur zum Bistum Chiemsee:
- Brugger, Dopsch, Wild, Vereinigung der Freunde von Herrenchiemsee (Hrsg.), Herrenchiemsee, Kloster-Chorherrenstift-Königsschloss, Regensburg 2011
- Brugger, Weitlauf (Hrsg.), Kloster Frauenchiemsee, Weißenborn 2003
- Gatz, Erwin (Hrsg.), Die Bistümer des Heiligen römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation, Freiburg i. Breisgau 2003
- Seidenschnur, Fräulein Dr. Phil. Wilhelmine, Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer Reichs-, Kirchen- und Landesrechtlichen Stellung, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Band IV., Berlin 1919
- Wallner, Engelbert, Das Bistum Chiemsee im Mittelalter, Rosenheim 1967